Yasmina
Reza
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"Der Gott des Gemetzels" | ||
Premiere
am 25. Oktober 2008
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Regie: Enrico Lübbe | |
Ausstattung: Etienne Pluss | ||
Text - Theater Chemnitz !!! |
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Die Premiere spielten: | ||
Véronique
Houillé
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Bettina Schmidt |
Michel
Houillé
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Michael Pempelforth |
Annette
Reille
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Ulrike Euen |
Alain
Reille
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Marius Marx |
KRITIK: Ein nervöser Magen gibt den Kommentar ab Yasmina Rezas Erfolgsstück "Der Gott der Gemetzels" jetzt auch am Schauspiel Chemnitz - Viel Beifall für eine bitterböse Komödie Chemnitz. Annette Reihe hat einen nervösen Magen. Sie sitzt am Anfang ein bisschen steif neben ihrem Mann Alain auf dem schicken Ledersofa der Familie Houillé. Und sie säße nicht da, hätte ihr Sohn Ferdinand nicht seinem Mitschüler Bruno. Houillé zwei Zähne ausgeschlagen. Das heißt, eigentlich anderthalb. Vielleicht ist der Nerv des Bruchstücks ja noch zu retten. So genau weiß man das noch nicht. Was man aber ganz sicher weiß ist: Über das unschöne Geschehen muss geredet werden - wenn denn das fortwährend klingelnde Handy ihres Mannes Main ein richtiges Gespräch zuließe. Yasmina Reza schenkt es sich, in ihrem Stück "Der Gott des Gemetzels", das am Samstagabend im Chemnitzer Schauspielhaus Premiere hatte, die beiden jungen Kampfhähne erscheinen zu lassen. Sie sind zwar Auslöser der Zusammenkunft, als Gegenstand der Debatte hingegen kommen sie allmählich abhanden. Wie das eben so ist, ein Wort gibt das andere. Bald geraten die Ehen der anwesenden Paare aufs Schlachtfeld, bald landet dort jeder einzelne mit seinen Lebensplänen und Ansichten. Worte können eine unglaubliche Schlagkraft haben, Fassaden sprengen, verletzend scharf sein. In Sachsen wird am Staatsschauspiel Dresden und am Mittelsächsischen Theater Freiberg-Döbeln schon seit 2007 diskutierfreudig gemetzelt, nach Chemnitz folgt mit der Premiere am 22. November auf der vogtländischen Bühne das Theater Plauen-Zwickau. Und auch sonst ist der Siegeszug des Stückes nicht zu stoppen, weil Yasmina Reza, mit ihren anderen Werken ebenfalls, beispielsweise "Kunst" oder "Drei Mal Leben", als meistgespielte Theaterautorin der Gegenwart erfolgreich die Wunden der modernen Gesellschaft immer wieder aufreißt. So gnadenlos, wie sie die Verlogenheit, den Selbstbetrug und am Ende die schmerzliche Lächerlichkeit mit ihren Stücken seziert, tut das im Moment keine andere. Eine Moralistin, die mitnichten moralisiert, sondern überaus witzig mit ihrer erbarmungslosen Analyse der zivilisierten Welt vorgeht. Dabei sollte doch alles perfekt sein. Immer wieder arrangiert Véronique Houillé edle weiße Tulpensträuße und wertvolle Bücher in ihrem elegant gestylten Wohnzimmer (Ausstattung Etienne Pluss). Bettina Schmidt zeigt die Hausherrin als wiederholt den kultivierten Umgang beschwörende Frau, die bei der Beschädigung ihres unersetzlichen Kokoschka-Bildbandes weit mehr aus der Fassung gerät, als über die ausgeschlagenen Zähne ihres Sohnes. Michael Pempelforth als ihr etwas biederer Mann Michel vergisst bald, die Perfekte-Familie-Inszenierung mitzuspielen und platzt mit vor Erregung hochroten Kopf seinen Frust heraus. Wenn Blicke töten könnten, dann, hätte der dauertelefonierende Alain von Marius Marx Menschenleben auf dem Gewissen, aber als sein Handy im Blumenwasser ersäuft, sitzt er auf der Sofakante wie ein hilfloses Kind, dem man gerade sein liebstes Spielzeug weggenommen hat. Derweil hat sich seine Frau mehrfach übergeben, was wie ein Kommentar auf die gänzlich außer Kontrolle geratende Situation verstanden werden kann. Die Annette von Ulrike Euen legt nach der ersten Kotzattacke den Schalter um - von der zunächst zurückhaltenden Mutter des Schlägerjungen zu einer Zynikerin. Die Lautstärke steigt, die Hemmschwellen fallen, zwischen den Figuren werden Allianzen geschmiedet, im Sekundentakt. Hin und her wechseln die Frontlinien. Die Demontage ist am Ende gründlich, das verwüstete Zimmer gibt ein Abbild der gemetzelten Personen. Enrico Lübbe, der das Stück bereits in der vergangenen Spielzeit am Landestheater Tübingen auf die Bühne brachte, erntete mit seinen glänzenden Darstellern nun auch in Chemnitz viel Applaus - für die dichte, hochkonzentrierte, stetig an Tempo gewinnende Inszenierung einer bitterbösen Komödie. Uta Trinks, Freie Presse, 27.10.2008 ___________________________________________________________
Vier Menschen im Halbrund - keine Ecke für den Rückzug. Die Möbel sehr modern. Yasmina Reza ist ein Phänomen. Die französische Dramatikerin schafft es immer wieder, aus harmlosen Situationen eine Katastrophe zu machen - und zwar ebenso psychologisch präzise wie pointiert. So auch in ihrem achten Stück: Der Sohn der Reilles hat dem Sohn der Houillés einen oder zwei Zähne ausgeschlagen. Nun soll ein Gespräch unter Eltern die heikle Geschichte aus der Welt schaffen. Doch die Begegnung eskaliert Während der Anwalt Alain Reille permanent telefoniert, kotzt seine Frau ins Wohnzimmer und auf den Kokoschka. Michel Houillé versucht die Lage noch zu retten, als seine Frau sich über die Gäste lustig macht. Und schon bröckeln die Fassaden. Ulrike Euen gibt die vornehme Zurückhaltung der Annette Reille kurz entschlossen auf und sich selbst dem Alkohol hin um als hysterische Kuh wundervoll zu entgleisen. Ihr Mann dagegen, gespielt von Marius Marx, ist gefühlsmäßig längst abgestumpft. Dafür aber zu einem fiesen Grinsen und einem tiefen Selbstmitleid von besonderem Format fähig. Und dann Bettina Schmidt, die Übermutter, die gebildete Véronique. Ein Weib mit Prinzipien und Kultur bis zum Heulkrampf und wieder zurück zur Unnahbarkeit. Doch so herrlich sie alle unterhalten - keiner ist besser als Michael Pempelforth. Was auch immer zwischen den vieren geschieht, er atmet es tief durch, leidet es leise dahin und explodiert schließlich so grandios, dass es das Zwerchfell erreicht. Und Regisseur Enrico Lübbe? Der hat es eindrucksvoll fertig gebracht, das Leichte, das so schwer zu machen ist: Komik. Deshalb unbedingt anschauen. Jenny Zichner, Stadtstreicher Chemnitz, 11.2008 ___________________________________________________________
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Erstellt am 03.11.2008 | |||