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Klaus Mann
  "Mephisto"
 
Premiere am 07. Dezember 2002
     
 
Regie: Manuel Soubeyrand
    Bühne: Susanne Uhl
     
"Er lügt immer und er lügt nie. Seine Falschheit ist seine Echtheit - es klingt kompliziert, aber es ist völlig einfach. Er ist ein Schauspieler."
So heißt es in Klaus Manns Roman "Mephisto" über den (fiktiven) Schauspieler Hendrik Höfgen, zu dem der (reale) Schauspieler Gustaf Gründgens die Vorlage gab. Das Buch trägt den Untertitel: Roman einer Karriere. Die Karriere, bzw. die Mechanismen der Karriere des Schauspielers Höfgen zeigt Klaus Mann, der älteste Sohn von Thomas Mann, mit Abscheu, aber auch wohlig-grusliger Faszination auf. Der Aufstieg eines Künstlers aus der Provinz zum gefeierten Berliner Bühnenstar und Staatstheater-lntendanten als Fallbeispiel. Der Mime wird zum Protegé der Propagandisten des dritten Reiches - eine Karriere unter den Bedingungen einer Diktatur. Noch vor der Entstehung des legendären Filmes von lstvan Szabo (mit Klaus Maria Brandauer als Höfgen und Rolf Hoppe als Göring), erarbeitete die französische Theaterkünstlerin Ariane Mnouchkine eine Spielfassung für das Pariser Théatre de Soleil.
 
Die Premiere spielten:
Thomas Bruckner, Schriftsteller
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Stefan Schweninger
Erika Bruckner, seine Tochter, Schauspielerin
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Carola Sigg
Sebastian Bruckner, sein Sohn, Schriftsteller
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Jan Ole Sroka
Nicoletta von Niebuhr, Schauspielerin
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Judith Raab
Theophil Sander, Dramatiker
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Michael Pempelforth
Hendrik Höfgen, Schauspieler und Regisseur
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Tobias D. Weber
Juliette, Tänzerin, Geliebte Höfgens
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Carmen Birk*
Julia-Maria Köhler*
Carola Martin, Schauspielerin
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Anke Fleuter
Magnus Gottschalk, Schauspieler und Theaterdirektor
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Frank Höhnerbach
Myriam Horowitz, seine Frau, Schauspielerin
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Anne-Else Paetzold
Hans Miklas, Schauspieler, Mitglied der NSDAP
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Mathias Noell
Otto Ulrich, Schauspieler, Mitglied der KPD
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Stefan Wancura
Alex, Schauspieler, Mitglied der KPD
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Michael-Paul Milow
Theresa von Herzfeld, Bühnenbildnerin
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Antje Weber
Frau Efeu, Souffleuse
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Barbara Ansorg
Herr Knurr, Hausmeister
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Bernd Herold
Max P. Leonard, Pianist
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Alexander Suckel
Lorenz, Straßenjunge, später SA-Mann
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Bernhard Conrad*
Hans Josthinkel, Nazi-Intendant
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Michael Pempelforth
Emelyne, Hausmädchen
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Franziska Leis**
Lucie Schneider**
Ludwig, Chauffeur
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Michael Pempelforth
 
* Studenten der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig am Studio Chemnitz
** Komparserie
 

KRITIK:

Nur ein Schauspieler sein

"Mephisto" in Chemnitz: Manuel Soubeyrand über die Nähe von Kunst und Macht

Chemnitz. Er hatte doch nur Schauspieler sein wollen, ein ganz gewöhnlicher Schauspieler. Hendrik Höfgen hat einen hohen Preis bezahlt für seinen Ruhm. Er ist allein im Theater, er hört die Stimmen der Schuld. Hoch oben an einer schwarzen Wand hängend, die Symbol seines Aufstiegs ist, die gleißenden Scheinwerfer auf sich gerichtet, da beginnt dieser tragische Held zu ahnen, dass auch er schuldig ist. Er hat nicht getötet, nein, aber er hat geschwiegen. Er hat Freunde verraten, seine Frau und frühere Ideale. Das letzte Bild der Chemnitzer "Mephisto"-Inszenierung, die am Samstag im Schauspielhaus Premiere hatte, zählt zu den stärksten des Abends. Jetzt beginnt Hendrik Höfgen zu begreifen, dass er die Kunst nicht mehr gegen die Macht setzt, sondern dass die Macht längst die Kunst kontrolliert.
Ariane Mnouchkine hat die Theaterfassung nach dem berühmten Roman Klaus Manns vor einem knappen Vierteljahrhundert dramatisiert, dann kam der Oscargekrönte Streifen von Istvan Szabo. Alle drei Lesarten unterscheiden sich vor allem in der Darstellung der Parallelen zwischen Höfgen und dem einstigen Schwager Klaus Manns, dem Schauspieler und Intendanten Gustaf Gründgens. Manuel Soubeyrand, der für die Chemnitzer Inszenierung verantwortlich zeichnete, blendete die Hauptperson über weite Strecken aus. Seine Regie entwarf stattdessen das Sittenbild einer Diktatur, ihrer Anfänge und ihrer Entwicklung. In 21, meist stillen Bildern erfuhr der Zuschauer etwas über den Mikrokosmos Theater, der die gespaltene Gesellschaft der Weimarer Jahre spiegelte. Widerständler und Opportunisten, Mitläufer, Bohemians und Größenwahnsinnige, arme Schlucker, Menschen mit ehrgeizigen Plänen, sie alle suchen ihre Nische, verfolgen ihre Vision. Soubeyrand macht sie zu Exempeln für die verschiedene Auffassung des Künstlerstatus': Wie viel kritische Distanz muss, darf, soll und kann überhaupt sein? Wieviel Anpassung? Hendrik Höfgen, den Tobias D. Weber mit einer leidenschaftlichen Verzweiflung ausstattet, hat die Frage für sich beantwortet: Er will mehr, will weg aus der Provinz. Dass er, wenn er in einer Machtposition säße, anderen helfen könne, ist seine Illusion.
So geht es in Chemnitz mehr um zeitlose Antworten als um die Aufarbeitung des Vergangenen. Manchen Szenen nimmt das die Schärfe, mitunter ist der Schuss Komik zu großzügig bemessen. Die Absurdität des Bösen zu zeigen, braucht nicht viele Worte. So sind die leisen Momente, die Susanne Uhls schlichte Ausstattung gekonnt unterstreicht, die besten dieser betont dokumentarischen Inszenierung. Kapellmeister Alexander Suckel liefert die beklemmenden Zwischentöne, die dramatischen. Oft sind es die Nebenrollen, die die Aufmerksamkeit fesseln: Anne Else Paetzold als Myriam Horowitz beispielsweise, Antje Weber als Theresa von Herzfeld oder Stefan Wancura als Otto Ulrich.
Beachtlicher Applaus.

Katja Uhlemann , Freie Presse, 09.12.2002

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Vom Helden zum Teufel
Soubeyrand inszeniert Mnouchkines "Mephisto" nach Klaus Mann

Szenen hinter dem Theatervorhang am Anfang und am Ende. Zuerst: Hendrik Höfgen als gefeierter Held in Goethes "Egmont", der mit den Worten "Euer Liebstes zu retten, fallt freudig, wie ich euch ein Beispiel gebe!" in den Tod geht. Zuletzt: Wieder Goethe, diesmal "Faust II", wieder Höfgen als gefeierter Star - als Teufel Mephisto: "Du bist getäuscht in deinen alten Tagen, Du hast's verdient, es geht dir grimmig schlecht", erkennt er, an der Feuerleiter hängend.
Höfgen, der Kämpfer für die Gerechtigkeit, der Held des "Provinztheaters", entwickelt sich zum Star der Hauptstadt Berlin, gefeiert von den Nationalsozialisten, verachtet von alten Freunden.
"Ich habe doch nichts getan", verteidigt er sich zweideutig. "Ich bin doch einfach nur ein gewöhnlicher Schauspieler."

Das Werk über den Mitläufer schlechthin

Schauspielchef Manuel Soubeyrand hat "Mephisto" in Chemnitz auf die Bühne gebracht, das Werk schlechthin über den Mitläufer schlechthin; "Mephisto", den Roman, den Klaus Mann über seinen zeitweiligen Schwager Gustav Gründgens verfasste und den die französische Künstlern Ariane Mnouchkine dramatisierte. Gründgens alias Höfgen wird kontrastiert mit im Widerstand kämpfenden Schauspielern wie Hans Otto (hier: Otto Ulrich), mit der abgehobenen, intellektuellverbrämten Passivität eines Thomas Mann und mit der wilden, ungestümen Leidenschaft seiner Kinder Erika und Klaus (hier: Erika und Sebastian Bruckner). Eine Szene im Hause Bruckner spielt so eindeutig im Hause Mann, dass man meint, eine Passage aus der kürzlich ausgestrahlten Mann-Trilogie zu sehen.
Mnouchkine hat für ihre Fassung Szenen aus Manns Roman mit Kabarett-Texten der Zeit kombiniert - von Walter Mehring oder Friedrich Hollaender, wie das gut gemachte Programmheft verrät. Auch wenn Höfgen schon längst die Arbeit in dem von ihm gegründeten Kabarett aufgegeben hat, proben seine Freunde noch weiter, spielen bitterböse, sehr pointierte Sketche und Lieder. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kommen Intendant Magnus Gottschalk und seine Frau Myriam Horowitz nur einmal noch in die Spielstätte zurück. Die beiden folgen Egmonts Worten, ziehen die Selbsttötung dem Leben mit der Lüge vor - natürlich nicht, ohne dass Gottschalk noch einen seiner herzzerreißend traurig-komischen "Judenwitze" erzählt; jeder einzelne aus seinem Repertoire hätte ihm bei den Nazis das Leben gekostet. Szenen wie diese, die von der hervorragenden Kunst der Akteure Frank Höhnerbach und Anne-Else Paetzold leben, wirken wie kleine Perlen einer langen Kette, die den Abend ungeheuer wertvoll machen.
Auch Barbara Ansorg als Souffleuse Efeu und Bernd Herold als Hausmeister Knorr in ihrer eindrucksvollen Bühnenpräsenz und ihrem Reichtum an darstellerischen Details oder Antje Weber als Therese von Herzfeld und Stefan Wancura als Otto Ulrich sorgen für solche Momente, wenn sie im Kabarett tapfer ihr Scherflein im Widerstand beitragen wollen oder auf der Eisenbahnbrücke stehen und über ihre pechschwarze Zukunft sinnieren - den ungeheuren Weitblick Klaus Manns beweisend, erschien der Roman doch bereits 1936. Sie zeigen, dass viele Künstler wie Seismographen auf Veränderungen und Verwerfungen in einer Gesellschaft reagieren. Manns Werk zeichnet auch die überaus faire Charakterisierung seiner Personen aus: Hans Miklas, Höfgens Gegenspieler am Theater, der bereits 1923 in die NSDAP eintritt, erweist sich als überaus mutiger, weil in seinen Hoffnungen betrogener Mensch, der seine ehrliche Enttäuschung mit brutaler Prügel vergolten bekommt.

Eine beeindruckende Leistung des Ensembles

Tobias D. Weber fällt es schwer, aus dieser so hochkarätig besetzten Riege der Nebenrollen herauszuragen. Vor allem zu Beginn, wenn Höfgens Rücksichts- und Charakterlosigkeit mehr behauptet als gezeigt wird, findet er keine eigene Linie. Doch je stärker Höfgen doppelgesichtig wird, je stärker er die so schwarzen Seiten seiner Rolle zeigen darf, umso klarer und konturierter wird Webers Stil. Es muss auch gesagt werden, dass ihm das überaus flexible Bühnenbild von Susanne Uhl und die gekonnte Beleuchtung von Dietmar Lange vor allem am Schluss dabei sehr zu Hilfe kommen. Das zeigt nur einmal mehr, dass die Inszenierung vor allem wegen der wirklich insgesamt beeindruckenden Ensembleleistung zu einem nachhaltigen Erlebnis wurde. Das zeigten auch die begeisterten Besucher der Premiere am Sonnabend.

Valeria Heintges, Sächsische Zeitung, 09.12.2002

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  Erstellt am 13.09.2003