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Tragödie von William Shakespeare
  "Richard III "
 
Premiere am 27. September 2014
     
 
Regie: Malte Kreutzfeldt
    Bühne: Nikolaus Porz
    Kostüme: Katharina Beth
     


Mit dem Tod des historischen Richard III. endeten 1485 die sogenannten Rosenkriege zwischen den Häusern York und Lancaster, und die Dynastie der Tudors kam an die Macht. Mit Richard III schuf William Shakespeare um 1593 einen seiner abstoßendsten und zugleich größten Verführer. Damit prägte er das bis heute gültige Bild Richards als einen grausamen Gewaltherrscher und legitimierte zugleich die Macht der Tudors, in deren Nachfolge Elisabeth I. zu Lebzeiten Shakespeares regierte.

Richard ist der ungeliebte dritte Sohn der Herzogin von York. Sein Ziel ist der Thron, doch der ging nach dem Tod König Heinrichs VI. und dem Mord an dessen Sohn zunächst an Richards Bruder, König Edward IV. Um all jene zu beseitigen, die vor ihm ihre dynastischen Ansprüche geltend machen können, beginnt Richard ein skrupelloses Spiel und entfacht eine Spirale der Gewalt. Er intrigiert gegen seine Schwägerin Elisabeth, streut Gerüchte, um den Machteinfluss ihrer Familie am Hof zu brechen und königstreue Anhänger auf seine Seite zu ziehen, wirbt um Frauen, deren Männer er einst töten ließ, lässt seinen Bruder Clarence ermorden und die minderjährigen Kinder Edwards in den Tower werfen. Als auch Edward IV. stirbt, ist der Weg frei und Richard wird, befeuert durch den Zuspruch seines Vertrauten Lord Buckingham, zum König gekrönt. Doch er ist sich seiner Macht nicht sicher. Jeder, der sich ihm fortan auch nur scheinbar in den Weg stellt, bezahlt mit dem Leben. Als Richard den Mord an Edwards Kindern befiehlt, zeigt Buckingham Skrupel und flieht nach Frankreich. Dort formiert sich mittlerweile unter Heinrich von Richmond aus dem Hause Tudor eine starke Gegenpartei, um Richards Schreckensherrschaft ein Ende zu machen.

Text - Theater Chemnitz !!!

Die Premiere spielten:
Gloster, später Richard III
-
Susanne Stein
Königin Elisabeth
-
Maria Schubert
Königin Margaret
-
Florence Matousek
Herzogin von York
-
Christine Gabsch
Lady Anne, Richard von York
-
Lysann Schläfke
Buckingham
-
Philipp Otto
Hastings, Tyrrell, Sir Christopher Urswick
-
Wolfgang Adam
Stanley, Clarence, Bürgermeister, Prinz von Wales
-
Marko Bullack
Catesby, Lord Rivers, König Edward IV., Brakenbury
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Christian Ruth
Richmond, Lord Grey, Bischof von Ely, Ratcliff
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Grégoire Gros
Die kleine Elisabeth, ein Kind
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Noa Neubert / Charlotte Bohley
Truppen, Bürger, Boten, Träger, Wachen, Gefolge
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Ensemble
 
 
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KRITIK:

Gekommen, um zu töten
Shakespeares "Richard III." mal anders: Eine Frau spielt den König als gestörten Serienkiller.

Die beiden Mörder tragen weiße Maleranzüge, Mundschutz und Gummihandschuhe. Sie schleichen zu ihrem Opfer in den Londoner Tower, das herausgeschraubte Gerüst der Unterbühne in blauem Licht. Der gefesselte Gefangene hat keine Chance. Ein Eimer Theaterblut platscht auf sein weißes Hemd. Schnell noch etwas Plastikfolie, um die Leiche zu verschleiern wie die Tat.

Es ist nicht der erste Mord und nicht der letzte, den Richard begeht. Aber den eigenen Bruder umzubringen, braucht besonders viel Skrupellosigkeit. Und Machthunger. Richard will König werden und räumt dafür alle anderen Kandidaten aus dem Weg, auch Kinder. Seine Angst steigert sich ins Irrationale, umso planmäßiger funktioniert das Handwerk des Tötens. Die Plastikfolie kommt mehrfach zum Einsatz in dieser Inszenierung von Shakespeares Königsdrama "Richard III.", die am Sonnabend im Chemnitzer Schauspielhaus als erste Premiere der Saison gezeigt wurde.

Das Auffälligste an diesem packenden Abend wirkt in jedem Moment selbstverständlich. Der "Dreckskerl", der "Höllenknecht" Richard wird gespielt von einer Frau. In Anzug und Stiefeln lässt Susanne Stein den gestörten Serienmörder hinken und bei Bedarf auch einen krummen Arm haben, wenn er wieder mal Schwäche heuchelt zur Mitleidsgewinnung. Es ist eine große Leistung, wie Stein diese machtgeile Gestalt modelliert, zynisch und zerrissen, großkotzig und grob.

Eine Königin widerspricht

Generell haben die Schauspielerinnen in dieser Tragödie starke Auftritte. Florence Matousek als erstarrt fluchende Königin Margaret; Maria Schubert als energische Königin Elisabeth, die Richard direkt ins Gesicht widerspricht wie niemand sonst. Der kann vor allem deshalb so wüten, weil er mit Buckingham einen brillanten Vordenker an seiner Seite hat, den Philipp Otto schmierig, aber nicht klischeelastig spielt.

Regisseur Malte Kreutzfeldt hält sich weitgehend an Shakespeares Vorlage aus der Zeit um 1592. Er modernisiert moderat. Im Gegensatz zur bildreichen Sprache und der blutrünstigen Story hat Nikolaus Porz eine schlichte Bühne entworfen. Die runde, rotierende Plattform steigt und sinkt, eben wie Richards Erfolgskurve. Vor allem im Teil vor der Pause ist die Spannung enorm, getrieben durch einen suggestiven Klangstrom aus trockenem Pochen, metallischen Geräuschen und E-Gitarre. Nur manchmal, wie am Ende, müsste es still sein, und auch das Hubschraubergeknatter hätte es nicht gebraucht. Wenn Richard seine letzten Gefolgsleute mit Sätzen einschwört wie: "Wir gehn bis an den Rand, wenn nicht zum Himmel, dann zur Hölle", entsteht die gedankliche Verknüpfung zu nachfolgenden Schlächtern ganz allein.

Rafael Barth, Sächsische Zeitung, 29.09.2014

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Fahr zur Hölle, Richard!
Die Königshäuser Lancaster und York sind Geschichte, doch skrupellose Lust an der Macht ist bis heute in der Welt. Das zeigt die grandiose Inszenierung von "Richard III" am Schauspiel Chemnitz.

"Ein Königreich für ein Pferd", sind Richards letzte Worte. Da hängt er schon am Kronleuchter, und einer der schillerndsten Bösewichter der (Literatur)-Geschichte endet. Das Publikum feiert begeistert einen Premierenabend am Schauspielhaus Chemnitz, wie er besser nicht hätte laufen können. Atemlos - auch dank der packenden Übersetzung von Thomas Brasch, geschliffen, pointiert - folgte es am Sonnabend dieser ästhetischen, aber nicht ästhetisierenden Zurschaustellung von Macht und Machtgier in der Inszenierung von Malte Kreutzfeldt. Es ist der Abend der Susanne Stein in der Titelrolle und des grandiosen Ensembles.

Was mutet dieser Richard der Welt nicht alles zu: Frauenmord, Kindermord, Brudermord. Er intrigiert gegen jeden und jede, er beseitigt rücksichtslos Gegner - und solche, die es noch gar nicht sind. Es ist ein überwältigender Abend, den Malte Kreutzfeldt mit seinem Team über drei Stunden (Pause inklusive) zeichnet. Und keine Minute ist langweilig, denn die historischen Personen - Shakespeare fährt ein gewaltige Personnage königlichen Geblüts auf - entfalten ihre Wirkung durch ihre Zeitlosigkeit. Und die macht vor den aktuellsten furchtbaren Entwicklungen im sogenannten Gottesstaat nicht halt, wenn die Mörder schwarze Masken überziehen.

Es friert einen ordentlich, wenn Richard, der ungeliebte Sohn der Herzogin von York, seine Bosheit in kriminelle Energie wandelt und mordet, mordet, mordet. Das wahnsinnige Genie im Blutrausch tötet subtil oder brutal, je nachdem, eiskalt oder mit finsterem Lachern. Oder lässt morden, denn immer finden sich Verbündete und Helfershelfer, die das Terrorregime fortsetzen, weil sie zu den Siegern gehören wollen. Während am Anfang nur blitzende Degen die Szene bestimmen, trennt man bald Köpfe von Hälsen, spritzen die Erdbeeren ihr Mus, besudelt Blut eimerweise die schneeweißen Westen, stülpen sich Plastiktüten über Köpfe. Und fast niemand bleibt außen vor. Aus den eilfertigen Mordgehilfen Buckingham wird Fuckingham. Interessant: Alle derart Gemurksten stehen in anderen Rollen in einer Art Endlosschleife wieder auf. Und das Volk? Wer die Wahrheit sagt, wird erschossen. Ohne Pardon. Das ist aktuell und zeigt: Die Mechanismen der Macht funktionieren wie eh und je.

Zu sehen sind moderne Menschen, elegant gekleidet in teuerste Stoffe (Kostüme: Katharina Beth), aber unter den dunklen Anzügen, den kostbaren Kleidern brodelt es. Nichts ist hier gut. Die Bühne von Nikolaus Porz ist schräggestellt, gespielt wird scharf am Abgrund. Die Drehbühne hochgefahren, wird zum Grab für die jeweiligen Gegner. Es ist ein Tanz auf dem Vulkan, und der diabolische Richard tanzt am höchsten. So entfesselt hat in Chemnitz noch niemand Susanne Stein gesehen, seit sie vom Schauspiel Leipzig (schon dort eine der Ersten) 2008 nach Chemnitz kam. Diese Rolle, ehrgeiziges Ziel für die größten Künstler dieser Erde, füllt sie mit Messers Schärfe, Sprachgewalt und Wahnsinn in den Augen, mit blutvoller Lust und Ganzkörpereinsatz. Ihr Richard ist abstoßend faszinierend, ein ganz großer Verführer.

Solche Sternstunden gelingen nur, wenn sie vom Ensemble getragen werden. Und diesmal passt alles. Philipp Otto gibt den machtgeilen Verführer Buckingham mit Goebbels-Touch, Marko Bullack u. a. den Bruder, der vor Angst vergeht. Grégoire Gros hinterlasst einen äußerst starken Eindruck als hintergründiger Bischof, aber auch als entschlossener Richmond, der einzige, der Richards Morden ein Ende bereiten kann. Wolfgang Adam und Christian Ruth zeigen die Anständigen wie die Verführer. Starke Gegnerinnen dieser beängstigenden Männer Truppe sind die Königinnen: Maria Schubert als Elisabeth, Florence Matousek als Margaret, Lysann Schläfke als Lady Anne und Christine Grabsch als Herzogin von York.

Marianne Schultz, Freie Presse, 29.09.2014

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Viel Beifall für "Richard III."
Susanne Stein als übelst guter Schurke

Normalerweise kann man das obligatorische Austeilen von Blumen auf offener Premierenbühne als Theaterstaffage abtun.
Die (gar noch englischen?) Rosen nach William Shakespeares Tragödie "Richard III." am Sonnabend im Chemnitzer Schauspielhaus lassen sich dann doch nicht so leicht wegknicken.

König mit Lizenz zum Töten

Regisseur Malte Kreutzfeldt hat sie sich hoffentlich nicht gewünscht. Das Drama illustriert den Gipfel der Machtkämpfe ("Rosenkriege") zwischen den Adelshäusern Lancaster (rote Rose) und York (weiße Rose). Gloster (später Richard III.) fühlt sich als allmächtiger King mit der Lizenz zum Töten aber nie wirklich sicher. Für Thron und Krone mordet er wie am Schnürchen. Bis es dem Schurken in der letzten Schlacht selbst an den Kragen geht.

Es ist der Abend der Schauspielerin Susanne Stein. In der Hosenrolle als abgrundtief böser Richard wächst die 1,75-Meter-Frau über sich selbst hinaus. Wenn es weiter nichts ist, als "jede Sauerei in heiligen Schein" zu hüllen - sie mimt die Verharmlosungskunst dieses Dreckskerls, seine einschmeichelnde, ruppig-zärtliche Verhöhnung der Opfer auf übelst schöne Art. Auf der geisterbahnartigen Bühne (Nikolaus Porz) immer schön in Blickkontakt mit dem Publikum und sehr genau umwuselt von einem großartigen Ensemble. Langer Beifall.

Das Inszenierungsteam scheint sein Mütchen mit grotesken Einsprengseln und viel Theaterblut (frische Erdbeeren) zu kühlen. Am Ende lässt es den nicht totzukriegenden Höllenhund Richard noch ein ganzes Weilchen hoch oben in dicken Seilen winseln und zappeln.

Da schwebt sie, die ewige Frage zwischen Himmel und Erde: Und, wie weiter?

Ch. Hamann-Pönisch, Chemnitzer Morgenpost, 29.09.2014

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Chemnitz: "Richard III."

"Immer doch schrieb der Sieger die Geschichte des Besiegten. Dem Erschlagenen entstellt der Schläger die Züge." (Bertolt Brecht)

Historisch gesehen, stand Richard III. dem Einheitsgedanken des Grafen von Richmond (später Heinrich VII.) im Wege. Um England außenpolitisch Gewicht zu verleihen, musste der mörderische Zwist zwischen den Häusern Lancaster und York mittels einer starken Zentralgewalt beigelegt werden. Richard diesem Ziel zu opfern, erwies sich als geschichtliches Erfordernis. Dabei wurde keine der ihm vor allem von Thomas Morus angelasteten Missetaten jemals nachgewiesen, selbst im Falle der Ermordung der beiden Neffen, sind sich die Gelehrten uneins.

Shakespeare, der die Abgründe der menschlichen Seele bis ins Detail sezierte, musste natürlich eine solche von den Ideologen der Tudors (der Schändung des Leichnams folgte die des Rufs) entstellte Figur faszinieren, erlaubte sie es ihm doch, mittels eines Protagonisten von nahezu perfidem Intellekt politische Machenschaften, ihr blutiges Ränkespiel beim Kampf um die Macht auf die Bretter, die ihm die Welt bedeuteten, zu stellen. Seiner Königin Elisabeth, einer Enkelin des siebten Heinrich, dürfte die lediglich als Aufhänger dienende Verteufelung des bösen Buben Richard zupass gekommen sein. Das eigentliche Anliegen des Dichters hat bis heute nichts an Aktualität eingebüßt.

Nach 1945 vom hiesigen Schauspiel konsequent ignoriert, feierte "Richard III." nun in einer Inszenierung von Malte Kreuzfeldt seine von einem interessierten, den Vorgängen auf der Bühne atemlos folgenden Publikum dankbar angenommene Auferstehung. Die die Szene dominierende Schräge mit eingefügter Drehscheibe (Bühnenbild: Nikolaus Porz) symbolisiert, wie nahe sich die Figuren am Abgrund befinden, Hinter- und Vorderbühne verdeutlichen einerseits die Königsebene wie sie andererseits den direkten Kontakt Richards zum Betrachter ermöglichen. Die dezent heutige Bezüge andeutenden Kostüme entwarf Katharina Beth. Und wenngleich das Herrenensemble durchaus in der Lage sein dürfte, hierfür einen geeigneten Mimen aus seinen Reihen zu rekrutieren, landete Kreuzfeldt einen besonderen Coup, indem er sich bei der Besetzung der Hauptrolle für Susanne Stein entschied. Nun, auch weiland Asta Nielsen ("Hamlet") oder in jüngerer Zeit Marianne Hoppe ("Lear") haben schon als Shakespeare-Helden für Furore gesorgt. Frau Stein geht die ungewohnte Aufgabe mit einer faszinierenden Energie an, fesselt mit beispielhaftem körperlichen und geistigen Einsatz, spart nicht an Honigseim bei ihre späteren Opfer umschmeichelndem Girren, das in hohnlachende Verachtung mündet und in erregten Momenten des Ordinären nicht enträt. Die unverhohlene Ansprache des Publikums, die Anbiederung beim Betrachter, das Überreden zur unfreiwilligen Komplizenschaft erfolgt dabei mehr indirekt, gleicht eher Momenten der inneren Einkehr, des Nachsinnens über bereits Erreichtes bzw. noch zu Bewältigendes. Und obwohl die Regie der Aufführung das ihr gebührende Tempo keineswegs verweigert, gewährt sie solchen Momenten auch bei den anderen Figuren den erforderlichen Raum, huscht nicht in einer Allerweltshatz über sie hinweg. Da berührt Marko Bullack (Clarence) in seiner kreatürlichen Todesangst (der bei seiner Ermordung hinzugezogene Farbeimer entpuppt sich allerdings als entbehrliches Zugeständnis an im Mode gekommene Regiemarotten), gewinnt der sich einschleimende Buckingham Philipp Ottos in der Todesstunde an tieferer Dimension. Gleiches wäre von Wolfgang Adams beklemmendem Kindsmörder Tyrell zu vermelden. Mit durchweg Gültigem wartet ferner die verbleibende Damengilde auf, so Lysann Schläfkes leidenschaftliche, dem Werben Richards erliegende und schließlich von ihm per Plastiktüte gemeuchelte Lady Anne, die würdevolle, ihrer Emotionen schließlich nicht mehr Herr werdende Elisabeth Maria Schuberts, die dem Wahn verfallene Margaret Florence Matouseks und last but not least die mit sprechtechnischer Brillanz bestechende Christine Gabsch als Richards Mutter. Wie überhaupt am Chemnitzer Haus seit der Direktion Carsten Knödlers auf die Sprache gesteigerter Wert gelegt wird. Verwunderlicherweise verweigert Kreuzfeldt dem Richmond (überzeugend männlich Gregoire Gros) dem übrigen Personal zugestandene ironische Brechungen - ein seltsam anmutendes Verfahren im Widerspruch zur übrigen Sicht des Regisseurs, das zugegebenermaßen vom wirksamen Schlusstableau mit dem an einem Ensemble aus Leuchtstoffröhren hängenden Leichnam Richards übertüncht wird.

Joachim Weise, Online Merker, 04.10.2014

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MACHT UND VERFÜHRUNG
SUSANNE STEIN. SUSANNE STEIN. SUSANNE STEIN.

So eine Bühnenschräge macht schon immer was her. Mit rotierender Scheibe, die dazu recht waghalsig die Ebene wechselt, ist sie noch raffinierter und inzwischen auch gern bespielt. Mal, weil es Sinn macht. Mal, weil es womöglich schick ist. In Chemnitz jedenfalls passt sie perfekt mit ihrem unsicheren Boden unter den Füßen. Ist ja schließlich nicht ganz ungefährlich für den Einzelnen, diese Geschichte zu kreuzen, den Bühnenraum mit Richard III zu teilen. Wer weiß, wer als nächster seinen Kopf verliert in diesem Gemetzel um Macht und gekränkte Eitelkeit. Wahrscheinlich wissen die Zuschauer auch schon nicht mehr genau, wer da alles verendet. Deshalb soll es hier noch mal geschrieben stehen: Nach dem Tod von König Heinrich VI. wird dessen Sohn ermordet und die Krone geht an Richards Bruder Edward. Der stirbt dann alsbald am Kummer, weil der dritte Bruder Clarence tot im Tower gefunden wird. Nun könnte also Edwards Bruder Rivers zum König werden oder der Sohn von Königin Elisabeth - aber Richards Mordslust ist schneller. Die nächsten Anwärter: Edwards Söhne. Aber Richard ist nun einmal im Blutrausch und da muss auch gleich noch Lord Hastings mit dran glauben, weil er aufbegehrt. Endlich bekommt jetzt Richard die Krone und bringt erstmal seine Frau Anne um, weil er es für sicherer hält, Edwards Tochter Elisabeth zu ehelichen. Und auch sein bester Freund, der Herzog von Buckingham überlebt nicht - er hatte die Seiten gewechselt. Am Ende stirbt dann auch Richard noch: durch die Hand von Graf Heinrich von Richmond. So beginnt also die Ära der Tudors in England, während auf der Chemnitzer Bühne eine Inszenierung zu Ende geht, die nicht eine einzige Sekunde langweilig ist. Das ist durchaus das Verdienst von Regisseur Malte Kreutzfeld, der herzhaft Kollegen zitiert, um jede Bluttat ein bisschen anders aussehen zu lassen und ebenso herzhaft auch spielen lässt: mit Tempo, mit Subtext und mit Sprechkultur, auch wenn die spröde Übersetzung von Thomas Brasch den Ton vorgibt. Aber noch mehr als Kreutzfelds sicherer Umgang mit dem Rhythmus und dem Abgrund der Taten, ist es Susanne Steins unglaubliches Vermögen, was diese drei Stunden zum ganz großen Saisonauftakt werden lässt. Sie spielt Richard III - und das ist nicht nur reizvoll, weil politische Macht heutzutage öfter weiblich daher kommt. Das ist geradezu wunderbar, weil Susanne Stein kein ausgemachtes Miststück hinstellt, sondern nachvollziehbar erzählt, warum die skrupellosen Herrscher dieser Welt eine faszinierte Gefolgschaft haben. Warum sie überhaupt zu Despoten werden - und nebenbei klärt sie auch, warum Theater hin und wieder auch süchtig macht: diesmal wegen ihr. Unterdessen spielt das Ensemble insgesamt nicht weniger charakterstark auf, ebenso präsent und zwingend. Und schafft, dass die Gedanken kreisen: So viel Unrecht, so wenig Gegenwehr. So viel Intrige, so Wenige, die all das durchschauen. So viel Machtanspruch, so wenig Glücklichsein. Mag das alles auch im ausgehenden 15. Jahrhundert spielen, die Menschen ändern sich offenbar nicht. Schon deshalb ist dieser "Richard III" hier ausdrücklich empfohlen.

Jenny Zichner, Stadtstreicher Chemnitz, 11. 2014

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Tod durch Erdbeeren

Es ist der ewige Mordbrenner, der in Chemnitz in der Regie von Malte Kreutzfeldt die Spielzeit eröffnet. "Richard III." steht auf dem Programm, und der blutsaufende Königsmörder wird verkörpert von Susanne Stein. Die findet von Anfang an den richtigen Ton. In schwarzem Smoking und Armeestiefeln führt sie als Conférencier des Bösen durch den Abend und macht schnell klar: Wer stört, stirbt. Stein gibt diesen Richard, humpelnd und mit spastischem Arm, anfangs sowohl kraftvoll als auch ironisch im permanenten Dialog mit dem Publikum, dem sie haarklein darlegt, was sie gleich machen wird.
Die anderen Figuren sind nur zu ihrem Anspiel dar. Die Textfassung von Thomas Brasch mag helfen, den Shakespeare ins Heute zu bringen, und die starken Striche - der Abend dauert zwei Stunden und 20 Minuten plus eine Pause - sowie einige deftige Hinzuerfindungen sorgen für die Faszination an der Banalität des Bösen. Am Anfang hat Stein das Spiel fest in der Hand, nur selten gibt es schauspielerische Gegenwehr von der Karikatur eines Hofstaats. Lediglich in der Verführungsszene von Lady Anne (Lysann Schläfke), die immerhin ihren Mann und Vater an den zukünftigen Richard verloren hat, entspinnt sich dialogische Raffinesse, zumal es Susanne Stein gelingt, ihre offensichtliche Weiblichkeit in eine gelungene Männer-Etüde einzubringen.
Nikolaus Porz hat für das Stück eine klassisch anmutende Bühne entworfen, die vor allem große Tableaus in einem sehr tiefen Raum möglich macht. Der Bühnenboden ragt schräg bis weit in die Hinterbühne, wo sich am Anfang das Königshaus versammelt, um dem Treiben zuzusehen. Später kommt dann auch noch ein Neonröhrenleuchter herbei geschwebt. Durch gleichzeitige Nutzung der Drehbühne gelingt es zudem, eine Art Unterwelt und Kerker zu erschaffen, in der mit viel Kunstblut Catesby (Christian Ruth) das Leben im Tower aushauchen darf. Doch mit dem Morden ist es so eine Sache, denn Regisseur Kreutzfeldt sieht das Stück weniger als Königsdrama oder Tragödie, sondern vor allem als groteske Farce. Catesby etwa wird von Richard (da noch als Gloster) und Buckingham (Phillip Otto) nicht einfach erdolcht, sondern Stein und Otto kommen selbst, in Maleranzügen und Atemmasken, im Tower vorbei, um ihre Tat mit viel Tamtam und zwei Eimern Kunstblut zu vollstrecken. Gaudi statt Thriller. Ebenso absurd wird später Hastings, gespielt von Phillip Otto, durch eine Überdosis Erdbeeren, die textgetreu präsentiert werden, außer Kraft gesetzt. Dazu Nebelsalven und Neonlicht.
Im zweiten Teil endet die Verschwörung zwischen dem König gewordenen Richard und dem Publikum, das nunmehr als Volk und "Bürgerpack" dem Endspiel folgen darf. Die Bühne ist entkernt, einsam, oben und in weiter Ferne thront Richard, während im Rund sein Hofstaat parliert. Dieser stimmt zur Krönung "God save the King" an, was der Souverän in einer übersymbolischen Geste mit "Rule Britannia" kontert. Der Streit der alten Frauen, die beide Richard verfluchen, wird schon fast etwas pflichtschuldig abgekeift, wobei Florence Matousek bereits über den ganzen Abend eine schrullig boshafte Margaret abliefert, die hier noch einmal zu Höchstformen auflaufen kann.
Am Ende dann Belagerungszustand, überall grüngekleidete Soldaten mit Helmen und Maschinengewehren, das Feldherrenlager am versammelten Tisch gegen den vereinsamten Richard. Eine dichte und düstere Atmosphäre kann nicht verhindern, dass die fragmentarische Handlung in diesem zweiten Teil letztlich zerfasert.

Torben Ibs, Theater Heute, 11. 2014

 


 

 

  Erstellt am 20.06.2015