Ein
Trauerspiel von Gotthold Ephraim Lessing
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"Miß Sara Sampson" | ||
Premiere
am 04. Juni 2005
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Regie: Claudia Bauer | |
Ausstattung: Bernd Schneider | ||
Musik: Ulf Steinhauer | ||
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"Armes
Herz!" seufzt Sara Sampson, denn ein starkes Klopfen in der Brust
lässt wieder einmal nichts Gutes ahnen. Sie und ihr geliebter Verführer
Mellefont haben sich heimlich in einer düsteren Absteige zurückgezogen.
Geplagt von schlechtem Gewissen sitzen die beiden in der Warteschleife
eines noch ausstehenden Erbes. So in der Schwebe sind die beiden eine
gute Angriffsfläche für Mellefonts vorherige Geliebte, die wie
ein böser Geist aus dessen früherem Lotterleben Rache für
sich fordert. Zum Glück ist der alte Sir Sampson der Tochter nachgereist.
Seine außergewöhnliche Vaterliebe, in der er Sara alles verzeiht
und unerwartet auch den neuen Schwiegersohn annimmt, wirkt wie eine gute
Gegenmacht im Spiel der moralischen Kräfte. Sogar der hasserfüllten
Rächerin stockt angesichts seiner geradezu tabulosen Güte einen
Augenblick lang der Atem. Doch ihr Siegeszug ist unaufhaltsam. Erst als
sie vor ihrer eigenen Boshaftigkeit fliehen muss, gelingt es Sir Sampson,
das entgleitende Tuch der Liebe endgültig festzuhalten. Doch ist
es zugleich ein Leichentuch ... |
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Lessings
vor genau 250 Jahren uraufgeführtes "bürgerliches Trauerspiel"
fasziniert nicht nur durch seine sprachliche Schönheit, einer Theaterprosa,
die für verborgene Motive der handelnden Personen transparent bleibt
wie bei kaum einem anderen Dramatiker, sonder auch durch die Lebendigkeit
der geschilderten Personen, Konflikte und Emotionen, die mühelos
zweieinhalb Jahrhunderte überspringt. Das verwundert besonders, weil
die Grundlinien der Handlung zunächst sehr fremd bei uns ankommen:
Eine verführte Unschuld, ein großmütig verzeihender (was
eigentlich?) Vater, eine auf den ersten Blick intrigante, jähzornige
Aristokratin ... Nur ist Lessing ein Menschenbeobachter, der hinter jeder
vordergründigen Absicht und erst recht hinter den ausgetauschten
Worten ganz andere Zweifel, den Menschen in seiner Uneindeutigkeit wittert.
Dazu gehört auch, dass die dargestellten Personen allesamt Verlorene
sind, die sich selbst am wenigsten begreifen. Wie Lessing selbst sagt,
kann die großmütigste Vergebung die größte Grausamkeit
sein - und so zeigt er am Konflikt Vater / Tochter auch sehr diffizil
die Mechanismen eines in Freundlichkeit daherkommenden Drucks auf das
Leben der Mitmenschen auf, die sehr konkret und heutig aussehen, wenn
man sie auf der Bühnen zum Leben erweckt. So geht es einem auch mit
allen anderen Figuren, und das Stück zeigt ein vielfältiges
Gesicht: Scheint es in den ersten vier Akten fast eine Komödie zu
sein, so durchleben die Figuren im letzten ein Wechselbad von Erkenntnissen
über sich und die anderen und Unfähigkeiten, diese zu akzeptieren.
Lessing stellt sich so wenig über die Schwächen seiner Figuren,
dass selbst ein Trauerspiel zu einem Vergnügen werden kann. |
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Die Premiere spielten: | ||
Sir
William Sampson
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Tilo Krügel |
Miß
Sara Sampson
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-
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Carola Sigg |
Marwood
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-
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Sylvia Btretschneider |
Mellefont
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-
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Alexander Hetterle |
Norton
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-
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Ivan Gallardo |
Arabella
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-
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Luise Heinrich** |
** Mitglied des Theaterjugendclubs | ||
KRITIK: Totale Kapitulation Liebe. In fetten
Leuchtbuchstaben prangt das Wort auf der Bühne, gleich zweimal.
Doch davon wird es auch nicht wahrer. Denn dieser Ort, der mit dem Schriftzug
lockt, ist ein Schlachtfeld, ein wenig einladender Gasthof irgendwo.
Autos brausen vorbei, und die Streithähne drinnen halten für
einen Moment inne, schauen den Eiligen nach, wären wahrscheinlich
selbst gerne weg hier. Nur - sie sind noch nicht fertig. Miteinander
und mit sich selbst. Uta Trinks, Freie Presse, 06.06.2005
Geblütswallung
mit Teddy Bei der ersten Aufführung
Gotthold Ephraim Lessings "Miß Sara Sampson" am Ist ja auch tragisch,
diese Dreiecksgeschichte um Sara, die verführt, entführt,
genasführt und von der Nebenbuhlerin vergiftet wird. Die Chemnitzer
Inszenierung (Regie: Claudia Bauer) dauert nur knackige 100 Minuten,
ist weniger zum Weinen, aber auch das Lachen vergeht einem: Irdisch,
handfest, tobsüchtig, irre, brutal geht es unter einem Stahlgerüst
zu, auf dem die Neonröhrenschrift "LIEBE" prangt und
das nur eine Spelunke sein will (Ausstattung quadratisch, praktisch,
gut: Bernd Schneider). Lessing ganz locker.
Vor allem sind es die Gesichter, die nicht so leicht aus dem Kopf gehen,
wie das des verlogen-hilflosen Liebhabers, des "heiter-skeptizistischen"
Vaters, der eiskalt-verzweifelten Nebenbuhlerin, der erschütterten
und doch fröhlichen Verliebten. Warum bei aller Liebe auf paar
Gags nicht verzichtet wird und auch noch ein Teddybär reintappt,
rockt und rempelt, weiß der Geier. Man versteht auch so: Der Tod
der Liebe ist das Gequatsche über die Liebe. "Zweifelst du
an meiner Liebe?", quengelt der Liebhaber. "Sie hat doch alles
gehabt", nervt der Papa, "Du darfst uns nicht verlassen",
ist die Ehemalige überzeugt. Zum Schluss wird alles vollgekleckert
sein mit Bier, vermüllt mit Liebesbrieffetzen, man hat sich ausgekotzt,
hampelt unbeholfen mit einer Leiche herum. Alles ist besudelt wie die
Gefühle - aber das Gequatsche geht weiter. hap, Chemnitzer Morgenpost, 06.06.2005 ___________________________________________________________
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Erstellt am 07.06.2005 | |||