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  GESPENSTER
 
Ein Spektakel im Schauspielhaus mit 5 Premieren
 
Premiere am 18. Januar 2002
     
     

 

— Johann Wolfgang Goethe "Walpurgisnacht" (Manuel Soubeyrand)

— David Gieselmann "Herr Kolpert" (Nora Somaini)
— Gerhart Hauptmann "Hexenritt" (Wolfgang Hagemann)
— Charles Ludlam "Das Geheimnis der Irma Vep" (Matthias Thieme)
— Friedrich Karl Waechter "Frankensteins Monster" (Carlos Manuel)
— Chris Kurbjuhn "Dracula!" (Matthias Brenner)
   

KRITIK:

Gruselspaß mit Monstern und Vampiren
Fünf Hauptgänge mit Vorspiel: Gespensterspektakel im Chemnitzer Schauspielhaus - Uraufführung von Kurbjuhns "Dracula!"-Musical

Brennende Fackeln, kreischende Vögel, düstere Gestalten. Auf dem Weg zum Schauspielhaus lag Unheil in der Luft. Aber kann das unheimlicher Zufall sein? Just am Freitag, da das Ghemnitzer Theater zur Premiere seines Gespensterspektakeis einlud, verbreiteten Nachrichtenagenturen die Meldung, dass die Deutschen kaum an Spuk glauben. Ostdeutsche noch weniger als Westdeutsche. Die Geister jedoch ließen sich nicht verdrießen. Vielmehr schwebten, schlichen und lauerten sie überall, mischten sich unters Publikum und sorgten bis weit nach Mitternacht für schaurig-schönen Grusel.
Ruhelos durchstreiften finstere Wesen aus einer anderen Welt das Foyer, in dem Särge zum Verweilen einluden, des Grafen Draculas scharfer Blick über der in schummriges Licht getauchten Szene lag. Plötzliche Schreie durchschnitten das allgemeine Gemurmel, manchmal auch blieb ein seltsames Fabelwesen nur stumm im Rücken eines Zuschauers, beharrlich wie ein Schatten. Nicht abzuschütteln. So verursachte selbst offensichtlicher Budenzauber als kleiner psychologischer Trick diffuses Unbehagen. Martin Rupprecht, der die Gesamtausstattung des Abends besorgte, hatte das Schauspielhaus in ein Spukgemäuer verwandelt, den Fundus des Hauses dazu gründlich geplündert und seiner Fantasie freien Lauf gelassen. Ob Monster, Hexen, Vampire oder merkwürdige Zeitgenossen, das Thema des Spektakels ist so eng nicht gefasst. Gespenstisches tritt hier, wie in fünf Inszenierungen zu erleben, in verschiedensten Variationen auf.

Freie Presse vom 21.01.2002


Johann Wolfgang Goethe "Walpurgisnacht"

 

Freches, Schweinisches und Unverschämtes aus der gar nicht klassischen Walpurgisnacht.

 


Makaber-komisch-englisch-blutig
"Herr Kolpert" von David Gieselmann

 

Sarah und Ralf haben sich Gäste eingeladen. Doch anstelle eines Abendessenstischen sie Edith und Bastian die haarsträubende Geschichte vom Mord an Herrn Kolpert auf. Haben die beiden den gemeinsamen Arbeitskollegen von Sarah und Edith tatsächlich umgebracht? Und liegt die verstümmelte Leiche wirklich in der verschlossenen Truhe? Der Abend eskaliert sehr bald und nicht alle werden ihn überleben...

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KRITIK:

Zwei erfolgreiche Paare gelangweilter Zeitgenossen mutieren zu Monstern. Die Story vom Mord auf
der Suche nach dem neuen Kick hat die junge Regisseurin Nora Somaini in bestem schwarzen Humor inszeniert und dabei grausam präzise auf die möglichen Perversionen unserer Zeit geblickt. Und dabei per Video und auf der Bühne die ambitionierten Darsteller zu irrwitziger Spiellaune getrieben.
Angela Ascher, Gritt Galisch, Thomas Martin, Stefan Ebeling und Michael-Paul Milow jagen durch die Extreme menschlicher Verhaltensweisen, und da die Leiche nebenbei zum Abendessen "serviert" wird, fehlt es auch nicht an allerlei Möglichkeit, mit Speisen und Getränken eher unkonventionell umzugehen. Verkleistert mit Tiramisu, verschnürt mit Paketband, nassgespritzt und blutverschmiert erlebt man einen "netten" Abend. Doch es bleibt nicht bei der Leiche zum Aperitif, sogar der Pizzabote wird verhackstückt. Der Spaß wird gründlich betrieben, aber auch American Psycho und Tarantino lassen grüßen. Erst in letzter Sekunde wird den Zuschauern der Spaß genommen, und es wird klar, worüber man gelacht hat.

Freie Presse vom 21.01.2002


Neblig-traumhaft-mausetot
"Hexenritt" von Gerhart Hauptmann

 

Ein nebeliger Fjord im Süden Schwedens. Der Forscher und Abenteurer Lars Andersdal landet mit seinem deutschen Studienfreund Lerch auf einer kleinen Insel an. Hier soll - in der Brandruine eines Schlosses - die Generalin als Untote spuken. Schon zu Lebzeiten als männermordende, erbschleicherische Hexe verrufen, hat sie Andersdal, angeblich, um das Erbe seines Onkels gebracht. Nun will er sich an einem vergrabenen Schatz schadlos halten, den er auf der Insel zu finden hofft. Den beiden Unerschrockenen vergeht bald hören und sehen, fantastische Begegnungen verstricken sie in ein unentwirrbares Gespinst aus Rausch, Halluzination, Spuk und Traum.

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KRITIK:

Achtung, Kopf einziehen: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben Hexenbesen zischen vorbei, einer für jeden toten Ehemann. Die Zweckentfremdung ist auch nicht weiter tragisch, zu fegen gibt es hier ohne dies nicht mehr allzuviel: Das Schloss der mittlerweile ebenso (un)toten Generalin ist nämlich eine Brandruine, irgendwo in einem kalten, nebelverhagenen Fjord m Sudschweden. Ungemütlich, um nicht zu sagen, gespenstisch ist es da. Doch der Forscher Lars Andersdal (Frank Höhnerbach) hat keine Wahl. Die Generalin hat ihn um sein Erbe, weil zuvor um seinen Onkel gebracht. Also sucht er nun in Begleitung seines deutschen Studienfreundes Peter Lerch (Stefan Schweninger) nach dem Schatz, der ihm angeblich zusteht. Zwei Männer allein um Mitternacht. Angst? Phhh, niemals. Darauf einen tiefen Schluck aus der Schnapsflasche.
Es dauert nicht lange, da schlummern sie hinweg - und träumen wirre Geschichten. Ein (selbstverständlich mausetoter) Marquis Rene Seigneur de Bauvau-Craon, gespielt von Bernd Herold, entführt Lars Andersdal nach Paris. Inzwischen setzt sich Lerch, in Unterhosen, aber rein wissenschaftlich, mit dem Spuk auseinander, der um ihn herum geschieht. Der Einfluss Freud'scher Psychoanalyse auf das 1929 uraufgeführte und inzwischen fast vergessene Werk ist unverkennbar.
So fragt man sich: Was ist wahr in der Inszenierung von Wolfgang Hagemann, was nur ein Hirngespinst? Wer ist nun eigentlich schon tot, wer lediglich im Aquavit-Delirium? Und die Moral: Schlafen Sie gut, aber besser, Sie träumen niemals von fliegenden Besen. Wo ist eigentlich Ihr Ehemann?

Freie Presse vom 21.01.2002


Aberwitzig-geheimnisvoll
"Das Geheimnis der Irma Vep" von Charles Ludlam

 

Lord Edgar, Hausherr auf Mandacrest, hat nach dem Tod seiner geliebten Gattin Irma Vep in Lady Enid endlich eine neue Liebe gefunden. Da das Personal des Anwesens jedoch einen mysteriöser Kult um die Verstorbene treibt, fühlt sich Enid als neue Dame des Hauses nicht besonders wohl. Geht Irma etwa als Geist um? Macht sogar ein Werwolf die Runde? Was ist das dunkle Geheimnis der Irma Vep?
Eine aberwitzige Verkleidungskomödie, bei der zwei Schauspieler in halsbrecherischem Tempo zwischen acht verschiedenen Rollen wechseln.

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KRITIK:

Noch blutig mochte die verehrte, aber leider verstorbene Herrin auf Mandacrest ihre Fleischgerichte. Die Neue dagegen - Dienstmädchen Jane kann ihre Nase nur missbilligend rümpfen - besteht auf Durchgebratenem. Schnell ahnt man, träte man vor die alten, kalten. grauen Mauern dieses abgelegenen Landsitzes, man begäbe sich in Gefahr, auf nachgebenden Boden zu kommen und langsam, ganz langsam im Morast zu versinken. Zum Glück scheint der Zuschauer auf seinem Sitz als Gast im Salon des merkwürdigen Hauses sicher zu sein - nur um dann ebenso sicher hineingezogen zu werden in ein aberwitziges Spiel, an dessen Ende nicht mehr so ganz klar ist: Wer ist hier eigentlich wer? Und vor allem: Wer ist überhaupt noch? Denn es gibt Tote. Nicht zu knapp.
Tobias D. Weber und Michael Pempelforth wirbeln mal alt und tattrig, dann wieder brüllend-gefährlich in acht Rollen über die kleine Spielfläche. Zuweilen erreichen sie dabei ein irrsinniges Tempo, dass man es hinter den Kulissenwänden nur so ratschen hört, wenn die Klettverschlüsse an den im Affenzahn zu wechselnden Kostümen aufgerissen werden. Matthias Thieme inszenierte die Verkleidungskomödie, über der der Geist der unheimlichen Irma Vep schwebt, als vergnügliches Kabinettstück, für das sich das Publikum mit viel Beifall und Getrampel bedankte.

Freie Presse vom 21.01.2002


Inzestuös-gemein-absurd
Friedrich Karl Waechters "Frankensteins Monster"

 

Eine scheinbar heile Familie. Victor der älteste Sohn, verlässt das Idyll, um Naturwissenschaften zu studieren. In der Einsamkeit des Labors gelingt ihm das Unglaubliche: er erschafft aus toter Materie ein lebendiges Wesen. Doch kaum geboren, wird ihm seine Schöpfung zum Monster. Ein Schauerspiel mit apokalyptischen Ende nach dem Roman von Mary Shelley.

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KRITIK:

Eine Ausgeburt, aus der eigenen Brut geschaffen: In Waechters Frankenstein-Version zeugt Sohn Victor mit der toten Mutter das liebebedürftige Monster, dessen Vater er wird. Das ist absurd und
nicht ohne Bosheiten, aber Konsequenz einer Welt, die in ihrem eigenen Saft schmort. In dieser lässt der blinde Vater sich aus der Bibel vorlesen, und vögelt "Dumpfbacke" Felix seine Adoptivschwester, die eigentlich für Bruder Victor ins Haus geholt wurde. Wenig idyllisch ist denn auch das Bühnenbild: ein langer Tisch, eine Lampenreihe darüber, ein Stuhl, der zu groß ist. Dazu düstere Klänge von P.J. Harvey und Franz Schubert.
Ein intelligentes, nicht immer konsequentes kleines Stück, mal tragisch, mal absurd, hat Carlos Manuel inszeniert. Klaus Schleiff, Jan Ole Sroka, Manolo Palma, Lydia Stäubli und Anne-Else Paetzold (ein starkes Ensemble) sind diejenigen, die dazu gehören wollen, es aber nicht können oder tatsächlich wollen. Das Resultat: viel Sex, Demütigungen und ein geschundener Teddybär. Was will man mehr.

Freie Presse vom 21.01.2002


Müllig, allzu müllig
Chris Kurbjuhns "Dracula!"

 

Jonathan, ein Junge vom Lande, träumt von einer großen Karriere als Musiker. Endlich in Rock 'n Roll City angekommen, muß er seine große Liebe, die junge Sängerin Lucy, aus den Fängen von Draculas blutsaugenscher Pop-Mafia retten. Mit seinen Helfern, dem Restaurant-Besitzer Van Helsing und dem Polizeichef Sergeant Pepper trifft er in Draculas Gruft auf John Lennon, Jimi Hendrix und Janis Joplin, die als Untote dazu verdammt sind, für Draculas Plattenimperium Hits am laufenden Band zu produzieren... Oder war alles nur ein Traum?
Ein Musical voller ohrwurmverdächtiger Songs, das Bram Stokens Grusel-Klassiker "Dracula" ins Musiker-Milieu verlegt und lustvoll-ironisch mit den Gesetzten des Genres spielt und sie durchbricht.

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KRITIK:

Mistgabelrocker, Spitzenkneipe, große Liebe, Dracula, Shopping, Jimi Hendrix, Janis Joplin, John Lennon und Elvis: Es gibt Stücke, die mit Hingabe aus unserer Konsum- und Popwelt zitieren. Chris Kurbjuhns "Dracula!" beispielsweise, das die Warenwelt als Uraufführung recycelt. Ein Ereignis, das man als "Trashical", sprich "Müll-Musical" bezeichnen könnte, getreu dem abgegriffensten aller Apotheker-Sprüche: "Bei Risiken oder Nebenwirkungen...".
Bei Müll-Musicals ist die Handlung unwichtig - in diesem Fall will Jonathan Karriere in Rock 'n' Roll City machen, wo er seine große Liebe Lucy aus den Fängen des Pop-Mafioso Dracula retten muss: Hauptsache, sie sind schön schräg und peinlich. Klappt hier hervorragend: Die Kostüme sind knalig, Witze und Einlagen sichtlich schlecht, die Farben grell, die Musik zu laut und in der Art, als hätte man die 80er-Jahre-Jugendclub-Mugge aufgemotzt. All das auf coole Art uncool, und drei scharfe Vampirluder gibt's auch. Die Schauspieler-Sänger, darunter Tobias D. Weber, Judith Raab, Nils Brück und Thiemo Schwarz, legen sich beachtlich ins Zeug und sorgen stellenweise für gute Laune. Respekt. Aber dann das Stück doch den eigenen Absprung verpasst, sich selbst zu ernst genommen und alles im Schnellgang durchgenudelt - der Todesstoß. Ein echtes Trashical übt sich gleichzeitig in der Kunst des Understatements und trockenen Humors, das ein bisserl mehr daraus wird als das, das man eh vorgefunden hat, eine bissige Parodie beispielsweise oder ein Zerrbild mit Bezügen. Dafür ein unverhältnismäßig aufwändiges Bühnenbild - einzige Rettung: Schnell zum Kult erheben.

Freie Presse vom 21.01.2002

 
   

 

  Erstellt am 19.02.2007