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Christa Wolf und Gerhard Wolf
  "Till Eulenspiegel"
 
Premiere am 01. Juni 1996
     
 
Bühnenfassung und Regie: Martin Nimz
    Bühne: Olaf Altmann
    Kostüme: Gabriele de Carvalho, Ricarda Knödler
    Musik: Thomas Voigt
    Choreographie: Hugo de Carvalho
     


Grundlage des von Martin Nimz dramatisierten Stückes ist eine Filmerzählung Christa und Gerhard Wolfs, die die im Volksbuch überlieferten Historien des Schalksnarren aus dem Braunschweigischen in die Zeit des Bauernkrieges und der Reformation verlagern. Das große Spektakel beansprucht das gesamte Schauspielensemble - über 40 Spieler sind in nahezu 200 Rollen zu erleben, eine Rockband und ein Chor begleiten Till auf seinem Weg von der Geburt bis zu seiner Testamentsverkündung. In 90 Szenen läuft auf der Schauspielhausbühne ein mittelalterliches Geschehen ab, das zwar vor fast 500 Jahren spielt, aber alles andere als eine folkloristische Geschichtslektion ist.

 

TILL EULENSPIEGEL - LEGENDE ODER WAHRHEIT
Der Bauernsohn aus der Gegend um Braunschweig, der gelebt haben soll zu einer Zeit, da der Magdeburger Dom vollendet wurde, tritt erst hundertfünfzig Jahre später aus dem Dunkel der Anonymität. Zuerst wird er 1493 in Chroniken erwähnt, dann taucht jener Grabstein auf. Er ist noch heute in Mölln zu sehen; seine Echtheit jedoch muß bezweifelt werden: Um 1350, als die Pest in Europa wütete, setzte man einem fahrenden Gesellen keinen Grabstein. Es mag sich in Mölln eher um einen Gedenkstein handeln, den man errichtete, nachdem Eulenspiegel in der mündlichen Überlieferung des Volkes zu einer fast legendären Gestalt geworden war. Das geschah im 15. Jahrhundert; noch bevor seine Geschichten aufgezeichnet worden waren. Ein knappes Jahrhundert darauf war der Held des Volksbuches schon so populär, daß der Stein auf dem Möllner Kirchhof durch ein hölzernes Gitter geschützt werden mußte.

Eine Fülle von Details und Anachronismen weisen darauf hin, daß es in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts ein geschichtliches Vorbild gegeben hat, das posthume Symbolträchtigkeit erlangte:
Der Name ist um 1535 im Braunschweigischen urkundlich bezeugt; später findet er sich nie mehr. Dies ist besonders merkwürdig. Denn treffender hätte man auf Grund seiner Streiche den Helden des Buches schwerlich nennen können, sofern sein Name eine freie Erfindung wäre:
„EULENSPIEGEL" (niederdeutsch „Ulenspiegel") erweist sich beim genauen Hinsehen als ein überaus schelmisches Kompositum, dessen erster Teil („ulen") soviel wie „fegen, reinigen" bedeutet, indes mit „Spiegel" oft die rückwärtigen Körperpartien beschrieben werden. Die allegorische Umsetzung ins Bild der Eule, die einen Spiegel hält, muß wohl als nachträgliche Volksetymologie angesehen werden, wahrscheinlich entstanden, als oberdeutsche Bearbeiter die Feinheiten des Plattdeutschen nicht mehr auszukosten vermochten.
(Günter Jäckel)

 

 
Die Premiere spielten:
 
Petra Förster
-
die Fliege, Reliquienhändlerin, Wirtin, 8.Hofnarr
Katharina Groth
-
Klapperstorch, Liebende, Rosine, Fürstin, Frau des dicken Mannes, Gemüsehändlerin, Hühnerbringerin, 10.Badende, 2.Hofdame, 6.Koch
Renate Hundertmark
-
Ann Wibken, Marie vom heißen Stein, 1.Dame-Fürst, Zigeunerin, blödes Mädchen, 2.Badende, 1.Hofdame, 5.Hofrat
Heike Meyer
-
Tochter des Till von Ütze, 3.Krüppel, Frau des Schmiedes, 1.Mädchen, 2.Dame-Fürst, Hedwig, 1.Tod
Silke Röder
-
Anna, Anna als Maria, Raubkatze, Metzger
Gitta Schweighöfer
-
Frau des Till von Ütze, 1.Krüppel, Gewichtheber, 2.Mädchen, Mutter mit Kind, älterer Student, Albertine, Sterbende, 7.Badende, 1.Hofnarr
Bernd-Michael Baier
-
2.Hirt, Fürst, Erzbischof, Schmied, Balthasar, 5.Badender, 2.Hofrat
Eduardo Bender
-
Mohr, Zwerg Kunz
Roy Borm
-
Joseph, Bruder Anton, Tontopfbesitzer, Feldwebel, Schlossergeselle, 1.Badender, 4.Hofnarr, 2.Koch
Andreas Haase
-
1.Teufel, 1.Rosenkranzmönch, Ritter Kunz, 2.Jäger, Tischlergeselle, Pater Glapion
Otto Heidemann
-
Hofmeister, 2.Priester von Albertshausen, Kaufherr, Meister Bertram, 11.Badender, 5.Scholastiker, 7.Hofrat
Bernd Herold
-
König Melchior, Pauckerjäcklein, Liebender, junger Student, Meister Jonas, Kaiser
Frank Höhnerbach
-
Advokat, 3.Geißler, 1.Ratsherr, 2.Ringer, 2.finsterer Geselle, 2.Professor (Humanist), Kanzleibeamter, 8.Badender, 2.Scholastiker, Hofastrologe
Carsten Knödler
-
Till von Ütze, 1.Aussätziger, Pumphut, Meister Gottlob, Henker, 3.Badender, Schreiber, 1.kaiserliche Wache, 3.Koch
Peter Kurth
-
Till Eulenspiegel, Till als König Kaspar
Jürgen Lingmann
-
2.Schaf, Jobst, Feuerspucker, dummer Student, Meister Matthäus, Spitzel, Oberkämmerer
Johannes Mager
-
Teufels Großmutter, 2.Geißler, Magister Konrad, 1.Ringer, 1.finsterer Geselle, 1.Professor (Scholastiker), 12.Badender, 3.Scholastiker
Andreas Möckel
-
Vogt, Krückenkrüppel, Flugblattverkäufer, Bruder Niklas, Maler Jörg, Fleischergeselle, Gerichtsdiener, 6.Hofnarr, 4.Hofrat, 1.Koch
Peter Moltzen*
-
König Bathasar, Spielmann, 1.Diener-Fürst, Barbier, Bademeister, 4.Scholastiker, 3.Hofnarr, 6.Hofrat
Ralf Sählbrandt
-
3.Teufel, 1.Priester von Albertshausen, Bauer mit Esel, 2.Bettler, Frau des Reliquienhändlers, Oberzunftmeister, Paracelsius
Klaus Schleiff
-
Sohn des Till von Ütze, 1.Geißler, Schandolf, Elster, Leibarzt des Kaisers
Stefan Schweninger
-
2.Teufel, 2.Krüppel, öffentlicher Doktor, alter Mann, Wirt, 2.Tod, Beatus Rhenanus, Kanzler
Michael Thalheimer
-
1.Schaf, 4.Rosenkranzmönch, 2.Ratsherr, Zauberer, Hochstätter, 1.Jäger, reisender Bruder, 6.Badender, 1.Scholastiker, 3.Hofrat, 4.Koch
Isabell Herbst**
Susanne Thurek**
-
Hannes, 6.Fliege
Cathleen Jentzsch**
Lukas Ziesch**
-
Engel
Thomas Schindler**
-
Sommersprosse, 5.Hofnarr, Küchenjunge
Gabriele de Carvalho**
-
weiße Stute, 2.Fliege
Ricarda Knödler**
-
weiße Stute, 3.Fliege
Ulrich Bock**
-
2.Rosenkranzmönch, 1.Bauer
Alexander Jahn**
-
3.Rosenkranzmönch, 2.Bauer
Thomas Klemm**
-
2.Reisiger, 2.Stadtknecht, 2.kaiserliche Wache, 2.Student
Ronny Meyer**
-
1.Hirt, 4.Bauer, 3.kaiserliche Wache, 4.Student
Peter Meyer**
-
Nashorn, schwarzes Pferd, Kamel, 4.Fliege
Jan Parthey**
-
Nashorn, schwarzes Pferd, 5.Fliege
Jan Reißig**
-
2.Pilgerer mit Holzkreuz, 2.Novize, 3.Stadtknecht
Matthias Schweighöfer**
-
1.Pilgerer mit Holzkreuz, 1.Novize, Bäckergeselle
Joachim Streubel**
-
1.Reisiger, 1.Stadtknecht
Marco Winkler**
-
3.Bauer, 3.Student
 
Es spielen:
ESKIMO - Thomas Nestler, Matthias Lindner
Chor des Carl-Friedrich-Gauß-Gymnasiums Solisten: Katja Seidel, Cathleen Jentzsch
 
* Studenten der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig am Studio Chemnitz
** Mitglieder der Statisterie der Theater Chemnitz
 

KRITIK:

Bildermeer auf der Treppe Martin Nimz hat nach einem Filmszenarium von Christa und Gerhard Wolf, die beide zur Premiere am Sonnabend kamen, einen dreieinhalbstündigen optischen Rausch auf die Bühne gezaubert.
... Man läßt sich mitnehmen, treiben in diesem Meer von Bildern. Nimz ist ein überschäumender Maler, ein Regisseur fürs Auge.
... Glanzvoll Peter Kurth. Er ist deftig, etwa wenn er sein entblößtes Hinterteil mehrfach in Szene setzt. Er ist verletzlich, zerbrechlich gar, wenn Till Nackenschläge einstecken muß, wie den Verlust seiner Freunde und seiner Jugendliebe Anna (Silke Röder)....

Uta Trinks, Freie Presse, 3. Juni

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Ein Schelm geht durch die Welt. Die von Olaf Altmann gebaute, in einem schiefen Winkel gebrochene raumgreifende Treppe mit weißen Kanten nimmt das Treiben auf, pausenlos strömen Figurengruppen von oben nach unten, von unten nach oben, verschwinden und erscheinen zwischen Treppen. Pferd und Esel sind da, auch Elefant und Kamel und Nashorn, die kaiserliche Kutsche fährt im Hintergrund vor. Zu bewundern sind Feuerwerk und Spiele mit der Wasserpistole, Kunststücke aller Art - es gibt zu schauen und immer wieder zu schauen

Ch. Funke, Der Tagesspiegel, 5. Juni

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Bilderflut in der Bewegung
Mein Respekt diesem Darsteller und dem Mut eines Ensembles, das sich an ein solches Projekt gewagt und mit bewundernswerter Besessenheit und Phantasie gestemmt hat.
... So ließ Martin Nimz, der Regisseur, Figuren und Gruppen des Filmmanuskripts als breitgefächertes historisches Panorama aufspielen, etwa 200 Rollen, darunter ein Martin Luther, ein Paracelsius, der Kaiser Karl V. und ein wundervolles, verwirrend bunt arrangiertes Gemenge von Gauklern, Bauern, Handwerkern, christlichen Sekten, Nashörnern und Eseln (Choreographie Hugo de Carvalho).
... eine Bilderflut in Bewegung, ein Augen- und Ohrenschmaus. Ein Schaustück also, sinnreich, sozial präzis und im Gestus immer wechselnd von grotesken Überzeichnungen und tragischen Momenten, ein Spiel von Lebenslust und vom Tod mit beeindruckenden poetischen Gleichnissen und Momenten, in denen die Stille regiert oder das Messer.

Kl. Pfützner, Neues Deutschland, 11. Juni


 
   

 

 

  Erstellt am 28.03.2001